Veröffentlicht: 15.04.25
Reitsport trifft Tierschutz – funktioniert das?
Was bedeutet Reitsport für ein Pferd? Möchte ein Pferd geritten werden – oder will es einfach nur „sein“? Neben dem klassischen Tierschutz beschäftigen sich unsere Tierretter kontinuierlich mit der Ethik und Moral im Tierschutz. Schließlich haben wir aktuell selbst über 600 Pferde auf über 30 Höfen in Deutschland, Österreich, Frankreich und der Schweiz. Jedes einzelne von ihnen hat seine eigene Geschichte – und viele kommen aus dem Reitsport. Manche wurden einst gefeiert, andere vergessen. Sie lehren uns viel, vor allem ein neues Kapitel: ein Leben ohne Leistungsdruck, voller Fürsorge, Respekt und Liebe. Wie es klappen kann, lesen Sie hier.
Inhalt
Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde
Den Spruch kennen viele der älteren Generation noch aus Poesiealben. Pferde verkörpern Anmut, Stärke und ein Stück Freiheit – sie scheinen fast magische Wesen zu sein. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne – die Symbiose von Pferd und Reiter. Diese tiefe Verbindung ist wunderschön. Doch genau hier beginnt auch eine Gratwanderung: zwischen Leidenschaft und Leistungsdruck, zwischen Harmonie und Kontrolle. Zwischen der Freude am Reiten und der Verantwortung, die damit einhergeht.
Pferde sind Lebewesen – keine Sportgeräte
Denn Pferde haben Gefühle und Bedürfnisse, das ist heute gesellschaftlich anerkannt – und zum Glück auch im Reitsport angekommen. Daher wächst das öffentliche Bewusstsein für den Umgang mit Pferden und den Einfluss, den der Sport auf ihre körperliche und seelische Gesundheit nimmt. Der Tierschutz gewinnt an Bedeutung, und genau dazu tragen wir als Gut Aiderbichl bei: nicht mit Vorwürfen, sondern mit Verständnis, Information und dem Wunsch nach Dialog.
Reiten mit Verantwortung
Ein fairer, pferdegerechter Umgang beginnt bei den Grundlagen: Schutz vor Sonne, Nässe und Insekten, artgerechte Ernährung, tierärztliche Betreuung, ausreichend Bewegung, Sozialkontakte – und vor allem: kein Zwang zu unnatürlichen Leistungen.
Leider gibt es auch heute noch Fälle, in denen diese Grundsätze missachtet werden. Misshandlungen, falsche Trainingsmethoden, dauerhafte Anbindung oder Ausrüstung, die dem Pferd Schmerzen bereitet und straffe Turnierpläne mit weiten Reisen sind keine Einzelfälle – und gehen klar gegen das Tierschutzgesetz.
Über 600 Pferde dürfen ihren Lebensabend auf Gut Aiderbichl genießen (Copyright: Ingo Boelter)
„Die Dosis macht das Gift“
Als Tierschützer werden wir den Reitsport nicht abschaffen können, aber wir unternehmen alles, um ihn besser und für die Tiere so gut wie möglich zu gestalten. Dazu gehört, das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass das Pferd die Nummer 1 sein muss und nicht unter dem Reitsport leiden darf. Wir schauen hin, zeigen Missstände auf und packen die Ursachen an der Wurzel. Wir werden nicht müde, mit jungen, interessierten Menschen und der Zielgruppe den Dialog zu suchen und Verständnis zu schaffen, denn nicht das Reiten, sondern der Umgang und die Dosis machen das Gift.
Unser Gründer, Michael Aufhauser, hat es treffend formuliert:
„Die schwarzen Schafe gibt es in jeder Berufssparte. Es ist an uns, die weißen Schafe zu entdecken und mit ihnen eine bessere Welt zu schaffen.“
Michael Aufhauser war ein Tierschützer der neuen Art
Unserem Gründer war es immer ein Anliegen, die Menschen über Missstände aufzuklären. Er war kein extremer Tierschützer, sondern einer der neuen Art. Er wollte beispielsweise nicht jedes Ei unter Naturschutz stellen und jegliche Schlachtung mit erhobenem Zeigefinger verbieten, sondern wachrütteln. Es ging ihm um den bedachten Umgang und darum, dass die Tiere ihre Würde als Mitgeschöpfe behalten – und der Mensch seine moralische Integrität. Beides wollen wir fördern.
Reitsport unter Beobachtung – der gesellschaftliche Blick
Ein gutes Beispiel für die Veränderungen im Denken ist das Konzept der „Social License to Operate“ – also der gesellschaftlichen Zustimmung zu einer bestimmten Tätigkeit. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Industrie, hat aber mittlerweile auch im Pferdesport Einzug gehalten – dank der australischen Forscherin Julie Fiedler. Sie arbeitet an dem Projekt #futurehorse, das die Einstellungen der Teilnehmer an pferdesportlichen Aktivitäten in Bezug auf das Wohlergehen von Pferden bei Rennen, Reiten, Sport und Tourismus untersucht. Sie brachte diesen Gedanken auf den Punkt. Fazit in vielen Gremien ist: Der Reitsport muss transparenter, fairer und tierschutzgerechter werden, wenn er weiterhin gesellschaftlich akzeptiert bleiben will.
Damit der Sport die Tiere nicht krank macht
Immer wieder sorgen tragische Vorfälle für mediale und gesellschaftliche Diskussionen. Immer öfter wird die Frage gestellt: Was darf der Mensch vom Pferd verlangen? Die Reaktionen bleiben nicht aus. In Frankreich etwa wurden im Vorfeld der Olympischen Spiele in Paris 46 konkrete Maßnahmen für das Wohl der Pferde erarbeitet. Darunter finden sich Videoüberwachung in Stallungen, Verbot der Rollkur, lückenlose Ausrüstungsprüfungen, Heu zur freien Verfügung, verpflichtende Ruhepausen und eine Wohlfühl-Kommission für Sportpferde. Wollen wir hoffen, dass die Theorie bald in der Praxis Einzug hält. Diese Initiativen zeigen: Ein Wandel ist möglich – und er beginnt mit Aufmerksamkeit und Verantwortung.
Auf Gut Aiderbichl behalten die Tiere ihre Würde als Mitgeschöpfe (Copyright: Gut Aiderbichl)
Die Extra-Meile: Forschung und Aufklärung
Auf Gut Aiderbichl leben wir mit über 600 Pferden. Viele von ihnen stammen aus dem Reitsport. Manche waren einst berühmte Turnierpferde, andere galten als „aussortiert“, weil sie krank, alt oder nicht mehr leistungsfähig waren. Doch ihr Wert bemisst sich für uns nicht in Turniererfolgen oder Körperkraft, sondern in ihrem Sein.
Die Grundpfeiler unserer Arbeit:
1. Fundierte Forschung für ein artgerechtes Pferdeleben
Seit vielen Jahren arbeiten wir mit führenden Expertinnen und Experten der Veterinärmedizinischen Universität Wien, der Sandgrueb-Stiftung und der Vetsuisse-Fakultät in Zürich zusammen, um zu verstehen, was Pferde wirklich brauchen. Die richtige Pferdehaltung ist immer im Blick.
2. Ohne Nutzen für den Reitsport und zu alt?
Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt Pferden, die zu alt für den aktiven Reitsport sind. Was kommt nach der Karriere? Unter dem Projektnamen „Quality of Life“ entwickeln wir mit Expertinnen und Experten neue Ansätze und erweitern kontinuierlich das Wissen über die Bedürfnisse von Equiden im Alter oder bei chronischer Krankheit.
3. Pferdegesundheit für alte Tiere
Ein schönes Beispiel, wie alte Pferde und solche mit Behinderungen ein gutes Leben durch Pferdegesundheit weiterführen können, ist unser A-Stall, der Altenstall. Hier leben Pferde, die Gelenksprobleme haben, die blind sind, solche, die Allergien haben u.v.m. Unsere Heuallergiker stehen im vorderen Bereich des Stalles und während der Fütterungszeit schützt eine Türe vor dem Heustaub. An der Decke läuft eine Schiene, die zu jenem Pferd geführt werden kann, das gerade Probleme beim Aufstehen oder sonstige Probleme hat. So kann jedem aufgeholfen werden.
4. Medienarbeit
Michael Aufhauser waren die Themen Landwirtschaft, Tiertransporte, Tierschutz und Nutztierhaltung wichtig. Die wichtigste Hilfe bei seiner Aufklärungsarbeit über die Tiere waren immer die Medien. Nur mithilfe der Medien konnte er die vielen Menschen erreichen, die weder tierquälerische Haltung noch Tiertransporte wollen.
Wenn Pferde endlich ankommen dürfen
Ein besonders berührendes Beispiel ist der irische Vollblüter Il-en-Rêve. Er kam aus Irland, wurde nach Holland transportiert und von dort aus ging es weiter nach Tschechien, wo er mehrere Male am berüchtigten Pardubitzer Steeplchase Rennen teilnehmen musste. Es gilt als härtestes Galopprennen in Europa. Nach den Rennen in Tschechien, nahm Il-en-Rêve auch an anderen Turnieren teil, und zwar so lange, bis er nicht mehr laufen konnte. Il-en-Rêve war vollkommen ausgebrannt, wurde verkauft und landete in einem Reitstall in der Schweiz, bis er Aiderbichler wurde und noch zehn Jahre mit seinen Artgenossen in Freiheit, geliebt und respektiert, leben konnte. Il-en-Rêve bleibt ein unvergessenes Beispiel für die Schattenseiten des Reitsport, in dem er nicht den kleinsten Funken von Tierschutz und artgerechter Behandlung erhielt. Wie der Mensch, merkt auch das Pferd sofort, ob es an erster Stelle steht und sich wohl fühlt. Bei uns ist jedes Tier Nummer 1. Er starb mit 25 Jahren an einer Herzkrankheit und bleibt unvergessen.
Michael Aufhauser mit Pferd Il-en-Rêve (Copyright: Gut Aiderbichl)
Reitsportler mit Herz: Diana Porsche geht als gutes Beispiel voran
Dass es auch anders geht, zeigt die österreichische Dressurreiterin Diana Porsche. Sie gehört zu einer neuen Generation von Sportlern, die Tierwohl groß schreibt.
Anlässlich der Amadeus Horse Indoors am 5.12.2024, führte die Gut Aiderbichl-Marketingleitung ein Interview mit der Salzburger Turnierreiterin Diana Porsche.
Petra Janßen: Wie ist dein Erlebnis im Turniersport von früher bis heute? Hat sich im Laufe deiner aktiven Reitzeit etwas geändert im Hinblick auf den Umgang mit Pferden und deren Pflege, besonders im Hinblick auf den Tierschutz?
Diana Porsche: Es ist sehr wichtig und mir persönlich ein großes Anliegen, dass es meinen Pferden gut geht und sie viel draußen sein dürfen; die Pferde ein Pferdeleben haben und nicht nur auf den Sport fokussiert sind. Ich erlebe durchaus einen starken Wandel im Sport, bei den Reitern, die viel mehr darauf achten, dass die Pferde rauskommen. Aber auch bei den Kampfrichtern wird mittlerweile mehr Augenmerk darauf gelegt. Das lockere, entspannte Reiten wird mehr belohnt als das angespannte und verkrampfte.
Petra Janßen: Was passiert mit einem Pferd, das nicht mehr turniertauglich ist?
Diana Porsche: Die Pferde dürfen ihre Pension auf der Koppel genießen. Die haben so viel für mich getan, daher möchte ich auch alles für sie tun und sie nicht abgeben. Wir kümmern uns um die Pferde und es ist mir sehr wichtig, dass sie bei mir bleiben können. Ich werde sie nicht nach all den Jahren ausmustern. Meine Großeltern schiebe ich ja auch nicht ab, weil sie alt sind, berichtet sie, mit einem gewinnenden Lächeln. Dieser letzte Satz sagt alles aus.
Ihre Haltung zeigt: Der Reitsport muss nicht im Widerspruch zum Tierschutz stehen – wenn Herz, Verstand und Verantwortung zusammenwirken.
Wenn die Reitkarriere auf Gut Aiderbichl endet…
… dann ist das gute Tiervorsorge. Wer seine besten Pferde nach Karriereende nicht mehr im eigenen Stall halten kann, zeigt Herz und vermittelt sie gerne nach Gut Aiderbichl. So bekommen die Tiere, die einst treue Partner waren, einen liebevollen und sicheren Lebensabend – in guter Obhut, mit Weiden, Artgenossen und allem, was ein Pferdeherz begehrt.
Gemeinsam für eine neue Reitkultur
Der zukünftige Weg von Gut Aiderbichl ist klar: Wir wollen verbinden, nicht trennen. Tierschutz und Reitsport schließen sich nicht aus – im Gegenteil. Wenn Reiter, Wissenschaftler, Tierschützer, Politiker und Medien zusammenarbeiten, kann eine neue Reitkultur entstehen: eine, in der Partnerschaft und Respekt das Fundament bilden.