Nachruf Melissa 2
Es ist die Anonymität der Tieropfer, die uns taub macht für ihre Schreie.
— Luise Rinser, deutsche Schriftstellerin
Die Füchsin hat den gierigen Menschen verziehen
Pro Sekunde stirbt ein Fuchs für den menschlichen Luxus. In neunzehn europäischen Ländern wurde es verboten, Füchse auf Pelztierfarmen zu züchten, um sie bei gegebener Zeit für die Pelzindustrie zu töten. Zahlreiche Modedesigner und Einzelhändler verzichten auf Echtpelz in ihren Kollektionen. Allein in den letzten Jahren haben Canada Goose, Oscar de la Renta, Valentino, Gucci, Burberry, Versace, Chanel, Prada und andere bekannte Marken angekündigt, pelzfrei zu arbeiten.
Silberfüchsin Melissa 2, eine von sechs freigekauften Pelztierfarm-Füchsinnen, war drei Jahre alt, als sie 2015 von einer tschechischen Pelztierfarm nach Gut Aiderbichl in Gänserndorf transportiert wurde. Wir haben die Füchse nicht einfach bekommen, sondern mussten Geld für ihre Freiheit bezahlen. Ein paar Tage nach ihrer Ankunft gebahr Melissa 2 sechs Welpen. Drei davon überlebten.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich Melissas Leben in einer Gitterbox von 80 x 80 cm abgespielt. Ein freies Leben im Wald hatten die Füchse niemals zuvor erleben dürfen. Sie standen mit ihren vier Pfötchen auf dem Gitterboden der Box, empfanden Schmerzen und hatten keine Chance zu hüpfen oder zu klettern. Wohin auch? Die Box war eng und gab keinen Platz für Bewegung. Ihr Alltag bestand aus Gitterstäben und gequälten, traurigen Fuchsgesichtern in den Nachbarboxen. Sie alle waren Tiere, die sich wohl dasselbe ersehnten: „Lasst uns hier endlich raus!“.
Und nun war Melissa 2 frei und kam nach Gut Aiderbichl in Gänserndorf. Als die Quarantänezeit der hochträchtigen Füchsin vorbei war und sie sich mit großer Fürsorge um ihre Kinder kümmerte, schien sich alle Angst langsam aus ihrem jungen Leben zu verflüchtigen. Endlich Erde schnuppern, auf den Pfoten laufen können, gutes Futter bekommen und Fuchs sein dürfen.
Das Verstecken und den Rückzug der freigekauften Füchse nahmen wir verständnisvoll hin. Der Mensch war es schließlich gewesen, der den Tieren unermessliches Leid zugefügt hatte, um seine Gier nach Luxus zu stillen.
Melissa 2 wusste sehr genau, dass die Menschen mit den roten Aiderbichl-Jacken ihre Helfer waren. Die Füchsin wurde zwölf Jahre alt – in der Pelztierfarm hätte sie dieses hohe Alter niemals erreichen können. Müde und zufrieden mit ihrem Leben auf Gut Aiderbichl in Gänserndorf, hatte sich unser Pelzmädchen vor einigen Wochen dazu entschlossen, ihre Augen für immer zu schließen. Die Tierpflegerinnen fanden sie eines Morgens im Gehege liegend – ganz friedlich, so, als wäre sie in der letzten Nacht noch einmal spazieren gegangen, um der Welt Adieu zu sagen. Melissa 2 hat nun ihren Frieden gefunden.
Der innere Friede, das ist etwas anderes als Zufriedenheit. Der innere Friede, das ist Licht, das uns inmitten unseres Elends und unserer Schuldhaftigkeit die Ahnung von einer erdumfassenden Liebe gibt.
– Luise Rinser
Liebe Melissa,
wir sind dankbar, dass du unsere Liebe und Fürsorge all die Jahre auf Gut Aiderbichl angenommen hast. Dein Vertrauen war für uns Menschen nicht selbstverständlich.
Wir werden niemals aufhören, deine Botschaft weiterzugeben:
Der Pelz eines Tieres gehört auf dessen Körper und ist sein Kleid.
Mach‘s gut, liebe Melissa. Du warst besonders und hast tiefe Spuren in unseren Herzen hinterlassen. Genieße die Wälder am anderen Ufer deines Lebens.