
Nachruf Pferd Kartel
Kartel war viel zu jung zum Sterben
Er war ein Prachtkerl von einem Percheron. Kartel war erst knapp vier Jahre alt, als er Aiderbichler wurde. Bereits als junges Pferd war er als Arbeitspferd und als Kutschenpferd eingesetzt worden, was für seine Gesundheit nicht ohne Folgen bleiben sollte.
Der Pferdehändler erzählte Dieter Ehrengruber, dass er wohl lahm in der Kutsche gelaufen war und auch mehrmals gestolpert sein muss. Als Kartel als Arbeitspferd keinen Nutzen mehr brachte, war es für den Besitzer klar, dass er ihn aussortieren wird und das Leben des wunderschönen, und vor allem jungen Pferdes, beim Pferdeschlachter enden wird.
Aufwendige Behandlungen sollten seinen Gesundheitszustand stabilisieren
Kartel wurde von unseren Pferdewirten beim Pferdehändler abgeholt und gleich in die Klinik gebracht, weil er kastriert werden musste. Während des Klinikaufenthaltes wurden auch die Gelenke geröntgt und Kartels Sprunggelenke zeigten Arthrose. An den vorderen Hufen litt er noch dazu an Hufrehe und alle vier Beine zeigten die Symptome der Mauke. Gleich wurde mit der Behandlung dieser Symptome in der Klinik begonnen und die Ärzte hofften, dass die Behandlungen Erfolg zeigen werden.
Während des Klinikaufenthalts hatte Kartel einen Spezialbeschlag gegen die Hufrehe bekommen. An der Belastungshufrehe litt er vermutlich deshalb, weil er viel zu früh als Arbeitspferd eingesetzt worden war. Nun wollten wir einmal abwarten und beobachten, wie es Kartel mit dem Beschlag ging.
Kartels bester Freund wurde unser Mundl
Bis Kartells Hormone nicht mehr vorherrschten, wurde unser Großer aufs Schroffner Gut, einem Außenhof in Henndorf, gebracht. Damit er sich dort nicht einsam fühlte, brachten wir ihm unseren Mundl und die beiden freundeten sich an.
Mundl strahlt Ruhe aus. Stress und Angstgefühle sind für ihn ein Fremdwort. Jetzt machte er einmal Urlaub vom Hauptstall und genoss die Ruhe und die neue Umgebung gemeinsam mit seinem Freund Kartell.

Dein Pferd sei dein zuverlässiger Freund, nicht dein Sklave.
– Xenophon
Ein schönes Zitat, das allerdings Kartells Vorbesitzer gefühlsmäßig nicht sonderlich bewegt haben dürfte. Wir lernten Kartel als gutmütiges Pferd kennen und lieben. Er akzeptierte seine Pfleger und in seiner Pferdesprache versuchte er uns zu vermitteln: „Danke, dass ihr mich respektiert und mir so viel Gutes tut!“.
Der Gesundheitszustand der Hufe und Beine waren in einem derart schlimmen Zustand, dass der Hufschmied und die Tierärzte manchmal dastanden und ratlos nachdachten, wie man dem jungen Pferd helfen kann. Kartel selbst gab sich offen für alles, was helfen könnte, weil er seinen Pflegern einfach vertraute.
Die Schmerzen wollten Kartel nicht mehr loslassen
In regelmäßigen Meetings zwischen den Pferdewirten, dem Hufschmied und den Tierärzten wurden immer wieder neue Behandlungsmöglichkeiten besprochen. Weicher Boden, harter Boden, Schmerztherapie, mit seinem besten Freund kurze Zeit auf die Wiese, die Kartel so sehr liebte. Und eines war so schön: immer wieder und fast unaufhaltsam spielte Kartel mit, als wüsste er, worum es ging.
Kartel liebte Kinder über alles
Sobald Kinder vor der Box des Apfelschimmels mit den großen, dunklen Augen stehen blieben und über seine mächtige Größe staunten, kam er her und ließ sich von den kleinen Händen streicheln. Er sah rechts und links und je nachdem, wie groß die Kinder waren, senkte er langsam und ganz sachte den Kopf. Wenn man ihnen half, wagten es die Kinder, die weichen Nüstern des großen Kartels sanft zu streicheln und er selbst genoss die Liebe und Zuwendung und schloss genüsslich die Augen. Warmer Atem kam aus den Nüstern und das gefiel den Kindern.

Dienstage waren immer Tage der Entscheidung
Kartels Gangbild wurde regelmäßig überprüft oder eine abgeänderte Schmerztherapie wurde besprochen. Der Hufschmied probierte einen neuen Beschlag aus, immer alles in Absprache mit dem Tierarzt. Kartel machte mit und immer wieder war da die Hoffnung auf Besserung.
Die Videokonferenz mit Spezialisten der VetMed und der Sandgrueb-Stiftung ließ nur mehr eine einzige Entscheidung zu
Wenn in der Stallgasse eine Box leer steht, wird man als Aiderbichler Mitarbeiter traurig. Dann schaut man in die Gesichter der Tierpfleger und je nach Ausdruck fragt man nach – oder lieber doch nicht – weil man die Antwort eigentlich gar nicht hören möchte. Kartels Schmerzen wollten nicht mehr aufhören, er nahm an Gewicht ab und legte sich am liebsten in der Box hin. Die Entscheidung musste getroffen werden.
In einer langen Videokonferenz und Diskussionsrunde mit einigen Spezialisten der VetMed und der Sandgrueb-Stiftung wurde Kartels Gesundheitszustand ausführlich diskutiert und die Ergebnisse aller bisherigen Behandlungen analysiert. Zuguterletzt war der Tenor einstimmig: Kartels Zustand und Leiden musste ein Ende gesetzt werden.
Kartel war nicht allein
Eine schwere Entscheidung für die Menschen, aber eine Erlösung für unseren Kartel stand bevor. Friedlich schlief unser Großer im Beisein seiner Pfleger und der Tierärztin ein. Sein Freund Mundl stand ebenfalls da und fühlte vielleicht, dass Kartel nun wieder umzieht: in ein anderes Land ohne Schmerzen. Ganz ruhig, ganz unauffällig und leise schlief unser Großer ein. Viel zu jung, unglaublich schön, unheimlich verbraucht durch die schwere Arbeit, die er leisten hatte müssen.

Dein Pferd sei dein zuverlässiger Freund, nicht dein Sklave.
– Xenophon
Letzte Gedanken der Tierpfleger:
Lieber Kartel,
Du wolltest nicht aufgeben und hast mit den Ärzten und deinen Tierpflegern mitgekämpft. In den letzten Wochen aber hast du uns doch signalisiert, dass deine Kräfte nachlassen. Deine Blicke wurden trauriger und deine Sehnsucht nach Berührungen ließ immer mehr nach.
In den wenigen Monaten, die wir dich verwöhnen durften, hast du unsere Herzen erobert. Nicht nur, weil du einfach so ein Schöner warst, sondern auch, weil du uns Menschen so gut “gespürt” hast und dankbar für alles warst.
Dein morgendliches Grummeln fehlt uns. Nun bist du frei und galoppierst über die unendlichen Felder im Pferdehimmel. Grüß all unsere Mäuse da oben.
Danke für alles, was wir von dir lernen konnten: stark zu sein, liebevoll zu sein und niemals aufzugeben. Aber auch zuzugeben, wenn die Kraft zu Ende ist.
Wir werden dich niemals vergessen und weißt du, deinen großen, leuchtenden Stern haben wir am Himmelszelt schon entdeckt. Mach’s gut, Großer.Deine Tierpflegermädls und Tierpfleger Martin
Von: Gisela Pschenitschnig, Gut Aiderbichl





