Nachruf Pferd Toni
Toni war blind, aber hat die Menschen dennoch durchschaut
(…) Pferde haben sanfte Seelen,
die doch sehr zerbrechlich sind.
Sie sind Wächter und Gefährte,
manchmal aber auch ein Kind.
aus: Gedichte von Norbert van Tiggelen
Toni erreichte ein biblisches Alter von 44 Jahren und schlief vor ein paar Wochen ruhig ein. 2004 brachte ein Pferdehändler Toni zusammen den drei weiteren Araberhengsten, Leslie, Zenzi und Ali Baba nach Gut Aiderbichl Henndorf. Er hatte die Pferde von einem Mann übernommen, der selbst an den Rollstuhl gefesselt war und die Pferde nicht mehr halten konnte. Sie waren namenlos und verängstigt, als sie Aiderbichler wurden. Ihr gesundheitlicher Zustand war beschämend.
Jahrelang reisten Toni und seine Freunde durch die Welt – ihre gesundheitlichen Probleme waren Nebensache
Ihre Reise ging zu den Reitbahnen diverser Jahrmärkte, Tag um Tag, Jahr um Jahr, Runde um Runde, von einer Stadt in die nächste. Die Halfter waren teilweise eingewachsen und bei allen Pferden zugenietet. Jahrelang waren ihre Köpfe eng zur Brust geschnürt, um den Eindruck zu erwecken, dass sie feurig sind. Sie rannten im Kreis mit schreienden Kindern oder ausgelassenen Erwachsenen auf ihren Rücken. Toni, Leslie, Zenzi und Ali Baba nahmen diese Jahre der Qual klaglos hin. Toni mussten dann die Augen entfernt werden. Sie waren krank und machten große Probleme. War es die Haltung oder der monotone Einsatz, der den Augenschaden verursacht hatte – wir wissen es nicht.
Das Gefühl der Freiheit auf den Weiden von Gut Aiderbichl
Wie in einer ihrer Dressurnummern liefen Toni und seine Freunde im Kreis über das Gras. Dann trennten sie sich und liefen wie wild herum, bis sie sich wieder im Kreis trafen. Irgendwann hatten unsere Geduld und Liebe den Pferden gezeigt, dass das Leben voller Darbietungen und Schmerzen vorbei war. Sie fühlten mehr und mehr, dass sie geachtet und respektiert wurden. Der Umgang bei uns, zeigte den geschundenen Pferden plötzlich Menschlichkeit.
Toni hat alle überlebt – und wurde zum Mahnmal
Manche Menschen erschraken, wenn sie erkannten, dass Toni keine Augen mehr hatte. Erwachsene und Kinder verfielen beim Anblick seines Gesichtes zunächst oft in Schockstarre. Die Geschichte, warum es so weit gekommen war, trieb ihnen dann aber Tränen in die Augen. Sie wollten Toni dann streicheln und für alles Leid um Verzeihung bitten. Toni hatte sein Schicksal angenommen und seine Ohren und der Geruchssinn haben ihm geholfen, weiter gut durchs Leben zu gehen. Altersbedingt wurde Toni taub, aber sein Geruchssinn war intakt. Er sollte zur Ruhe kommen können und so übersiedelte Toni in den A-Stall (Altenstall) von Gut Aiderbichl. Einer seiner Freunde wurden Sabrina und der Kleine Onkel, die ebenfalls blind sind.
Toni wusste wie Kinder sind
ein paar Monate vor seinem Tod nahm er einem kleinen Buben die Angst vor den Pferden
Sehr bewegt hörte sich ein kleiner Bub, der unheimliche Angst vor Pferden hatte, die Geschichte vom tauben und blinden Pferd Toni an. Da stand er nun und schaute mit großen Augen ins augenlose Gesicht des alten Toni. Tonis Nüstern bewegten sich langsam. Mit kleinen Schritten näherte er sich meiner Hand, die er kannte. Die kleine Hand des Buben tastete sich langsam zu Tonis Mund und Toni neigte seinen Kopf herunter. Es war unheimlich still – man hörte nur Tonis leises Atmen. Der kleine Bub streichelte Toni und er weinte. Tonis sanfte Seele hatte dem Buben die Türe geöffnet. So, als ob er meinte: “Respekt ist gut, Angst musst du nicht haben”.
Tonis Aufgabe war erfüllt
Ein leises Lied der Tränen begann
Blind, dann taub, hat Toni nicht zum Aufgeben bewegt. Nein, es war ein Tumor, der sein Leben nun beendete. Alle Tierpfleger waren bei ihm, die Sonne schien warm auf sein dickes, weißes Fell. Er sagte leise Adieu und sank friedlich in einen tiefen, verdienten Schlaf. Wieder war es sehr ruhig, die Pferde schauten von der Koppel zu ihrem Freund Toni und niemand bewegte sich. Ein leises Lied der Tränen begann. Toni ist nun bei seinen Freunden Zenzi, Lesslie und Ali Baba.
Letzte Gedanken der Aiderbichler Tierpfleger für ihren Toni
Lieber Toni,
du konntest die Farben der Natur viele Jahre nicht mehr sehen, doch gespürt hast du sie und uns immer. Das hast du uns jeden Tag gezeigt.
Du hast deine Sonnenbäder geliebt, den frischen Wind. Und wie ein Lausbub hast du dich gefreut, wenn wir einmal vergessen haben, deine Boxentür zu schließen, weil wir meinten, du kannst eh nicht ausbüxen. Und du bist dann allein und stolz erhobenen Hauptes zur Wiese spaziert.
Wenn wir dir eine Decke aufgelegt haben, hast du uns immer abgeschleckt und wir nahmen das als Zeichen der Dankbarkeit. Du hast sogar dem Hufschmied, dem Zahnarzt und dem Tierarzt gezeigt, dass du sie magst. Wenn dir einmal etwas nicht gefallen hat, dann hast du uns liebevoll gezwickt, und das war ok.
Wie ein Baby hast du in deiner Box geschlafen und schnarchen konntest du wie ein Großer. Du warst voller Liebe und Vertrauen zu uns, danke. Du warst ein Kämpfer. Wir werden dich niemals vergessen, denn du hast so viele Jahre mit Freude gefüllt und nimmst einen großen Platz in unseren Herzen ein. Mach’s gut, lieber Toni.
Deine Pfleger Lisa, Martina, Eva, Michaela, Vanessa, Marco und Raphaela
Von: Gisela Pschenitschnig, Gut Aiderbichl